Haus St. Antonius

Grein a.d. Donau / Österreich


(Juli 2023)


Mag. Elisabeth Svoboda


Großpfarren in Österreich



Wir alle kennen normale Pfarren. Ein Ort ist üblicherweise eine Pfarre. Eine Stadt ist unterteilt in mehrere Pfarren. Pfarren sind überschaubare Einheiten und werden von einem Pfarrer geleitet.

 

In Österreich geht die Entwicklung in allen Diözesen in die Richtung bzw. ist es vielerorts schon seit längerer Zeit so, daß mehrere benachbarte Pfarren bzw. Pfarren eines Dekanates zusammenarbeiten, sich lose oder intensiver zusammenschließen. Es gibt dafür auch verschiedene Bezeichnungen wie Pfarrverband, Seelsorgeraum. Die einzelnen kleinen Pfarren bleiben dabei als solche bestehen.

 

In der Diözese Linz, zu der auch die Pfarre Grein gehört, ist es anders. Hier entstehen gerade Großpfarren (www.dioezese-linz.at/zukunftsweg).

 

Es gibt immer wieder etwas darüber in kirchlichen Medien zu lesen, und es gibt auch diözesane Handreichungen. Trotzdem wissen viele nur, daß da irgendetwas umgebaut wird. Es ist auch kein Gesprächsthema im Kirchenvolk, weil kein wirkliches Bewußtsein dafür, kein genaueres Wissen da ist.

 

Was ist da also in der Diözese Linz geplant?

 

Es gab bis jetzt in der Diözese Linz 487 Pfarren. Diese waren in 40 Dekanate unterteilt.

 

In naher Zukunft werden in der Diözese Linz alle 487 Pfarren kanonisch, kirchenrechtlich aufgelöst. Jedes bisherige Dekanat wird kanonisch zu einer Pfarre, zu einer Großpfarre, umgewandelt. Es gibt dann in der Diözese Linz, in ganz Oberösterreich, nur noch 39 Pfarren (aus Gründen der Einteilung nicht 40).

 

Mit der Realisierung wurde bereits begonnen. Seit Jänner 2023 gibt es schon fünf Großpfarren, die sogenannten fünf Pionierpfarren. Der ganze Prozeß erfolgt (inkl. der Pionierpfarren) in 6 Etappen. Es gibt 6 Gruppen mit je mehreren Dekanaten. Von Jänner 2023 bis Jänner 2028 wird im Jahres-Takt je eine Dekanats-Gruppe zu Großpfarren umgewandelt.

 

Nach der 1. Gruppe, den ersten fünf Dekanaten – das sind jetzt die fünf Pionierpfarren –, befindet sich seit Herbst 2022 die 2. Gruppe – sieben Dekanate – in der Vorbereitungszeit. Diese sieben Dekanate werden im Jänner 2024 zu sieben Großpfarren umgewandelt.

Die Pfarre Grein befindet sich in der 5. Gruppe. Hier beginnt die Vorbereitungszeit im Herbst 2025, und die Auflösung der Pfarre erfolgt im Jänner 2027. (Eine Bemerkung am Rande: Die Pfarre Grein ist mindestens 876 Jahre alt, wurde im Jahre 1147 erstmals urkundlich erwähnt, und ist mit sehr großer Wahrscheinlichkeit noch wesentlich älter.)

 

Wie ist so eine Großpfarre aufgebaut, strukturiert?

 

Die Großpfarre umfaßt also alle bisherigen kleinen Pfarren eines Dekanates. Die Großpfarre hat 1 Pfarrer. Die bisherigen Pfarrer der früheren kleinen Pfarren werden zu Pfarrvikaren. Sie wirken weiterhin als Priester, haben aber in ihren eigenen Orten keine selbständige Leitungsbefugnis mehr. Sie unterstehen dem einen Pfarrer. Dieser ist ihr Dienstvorgesetzter.

 

Die bisherigen kleinen Pfarren werden nun „Pfarr-Teilgemeinden“ genannt (meist nur „Pfarrgemeinden“).

 

  

Folgende Ämter und Strukturen gibt es in der Großpfarre:

 

Für die ganze Großpfarre:

 

Leitung:

 

Pfarrvorstand

= Pfarrer mit zwei Mitarbeitern, dem Pastoralvorstand (männlich oder weiblich) und dem Verwaltungsvorstand (männlich oder weiblich)

 

Gremien:

 

Pfarrlicher Pastoralrat

besteht aus:   Pfarrvorstand (3 Personen) + 2 Entsendete von jeder Pfarr-Teilgemeinde

                      + 1 Person für Jugendpastoral

 

Pfarrlicher Wirtschaftsrat

besteht aus:   Pfarrvorstand (3 Personen) + 1 Entsendeter von jeder Pfarr-Teilgemeinde

 

Pfarrbüro

 

 

In der Pfarr-Teilgemeinde:

 

In jeder Pfarr-Teilgemeinde gibt es ein Seelsorgeteam mit einem hauptamtlichen Seelsorger (männlich oder weiblich) und einen Pfarrgemeinderat sowie auch ein Pfarrgemeindebüro.

 

Das Seelsorgeteam:

 

Das Seelsorgeteam gibt es auch dann, wenn es in dem Ort einen Priester gibt.

Das Seelsorgeteam besteht aus mindestens 3 Personen. Davon ist eine Person hauptamtlicher Seelsorger (männlich oder weiblich). Gibt es in der Pfarr-Teilgemeinde einen Priester, so übt dieser im Regelfall diese Funktion aus.

 

Die Aufgaben des Seelsorgeteams:

Liturgie, Verkündigung, Caritas, Gemeinschaftsdienst, Finanzverantwortung.

 

Der Pfarrgemeinderat:

 

Dieser wird von der Bevölkerung gewählt und vom Seelsorgeteam geleitet.

Vom Pfarrgemeinderat werden 2 Personen (davon der Sprecher des Seelsorgeteams) in den Pfarrlichen Pastoralrat entsendet.

 

Fachteam Finanzen

Der Pfarrgemeinderat entsendet den Vorsitzenden des Fachteams (= Mitglied des Seelsorgeteams) in den pfarrlichen Wirtschaftsrat.

 

 

Dies war nun ein Überblick über die Struktur einer Großpfarre in der Diözese Linz.

 

Wie kann man sich das in der Praxis vorstellen? Für Österreich, die Diözese Linz, kann man noch nicht viel sagen. Aber man kann einen Blick nach Deutschland werfen.

 

Der Linzer Priesterkreis veranstaltet jährlich die Internationale Theologische Sommerakademie in Aigen/Schlägl, Oberösterreich (www.theologische-sommerakademie.at). Im Jahr 2009 stand diese Veranstaltung unter dem Thema „Glaubenskrise und Seelsorge. Wie geht es mit der Seelsorge weiter?“.

Die Referate von dieser Veranstaltung sind in einem Buch zusammengefaßt. * Einige der Referate befassen sich mit Großpfarren in Deutschland, mit deren Entstehung und Erfahrungen. Aus drei Referaten soll nun ein Auszug gegeben werden.

 

 

Aus dem Referat

„Zum Umbau der Seelsorgsstrukturen im deutschen Sprachraum – Fakten und Folgen“

Gehalten vom Sprechergremium des „Netzwerkes katholischer Priester“ in Deutschland (www.priesternetzwerk.net).

 

Referenten: (Pfarrer Dr. Guido Rodheudt)

                    Pfarrer Hendrick Jolie

                    Pfarrer Uwe Winkel

                    Der Erstgenannte konnte bei der Tagung nicht persönlich anwesend sein und hat

                    einen Videobeitrag gegeben, der verschriftlicht wurde (siehe weiter unten).

 

(Buch Seite 77 – 97)

 

„Unser Referat befasst sich mit den momentanen Strukturveränderungen in den deutschsprachigen Diözesen. Dabei nehmen wir die Fakten und Folgen dieser Maßnahmen in den Blick. Wir halten den Vortrag bewusst zu dritt, weil wir als Sprechergremium des Netzwerks katholischer Priester – auch im Namen sehr vieler Priester – ein unmissverständliches öffentliches Zeugnis abgeben wollen. Wir können zu den massiven Eingriffen in das kirchliche Leben unserer Zeit nicht schweigen!

 

An den Anfang unserer Ausführungen stellen wir ein Wort von Papst Benedikt, das er im November 2006 während des Adlimina-Besuchs der deutschen Bischöfe an dieselben gerichtet hat:

 

‚Kirchliche Institutionen, Pastoralpläne und andere rechtliche Strukturierungen sind bis zu einem gewissen Grad schlichtweg notwendig. Aber gelegentlich werden sie als das Wesentliche ausgegeben und verstellen so den Blick auf das wirklich Wesentliche. Sie werden jedoch nur dann ihrer eigentlichen Bedeutung gerecht, wenn sie am Maßstab der Glaubenswahrheit gemessen und danach ausgerichtet werden.‘

 

Weiter sagte der Papst:

 

‚Angesichts der augenblicklich abnehmenden Zahl der Priester, wie leider auch der (sonntäglichen) Gottesdienstbesucher, kommen in verschiedenen deutschsprachigen Diözesen Modelle der Um- und Neustrukturierung der Seelsorge zur Anwendung, bei denen das Bild des Pfarrers, das heißt des Priesters, der als Mann Gottes und der Kirche eine Pfarrgemeinde leitet, zu verschwimmen droht.‘

 

Das Netzwerk katholischer Priester ist eine Initiative, die 2001 in Frankfurt/M. ins Leben gerufen wurde, um Priester zu vereinigen, die sich um die unverkürzte Verkündigung der kirchlichen Lehre, die treue Beachtung der liturgischen Vorschriften in der Heiligen Messe und die ordnungsgemäße Spendung der übrigen Sakramente sowie die konsequente Wahrnehmung der priesterlichen Leitungsaufgaben bemühen.

 

Mit großer Sorge verfolgen wir deshalb seit Jahren die strukturellen Veränderungen in den deutschsprachigen Diözesen. Nachdem wir diese Veränderungen mehrere Jahre analysiert und

 

 

in ihren theologischen und pastoralen Auswirkungen bedacht haben, kommen wir zu dem Schluss, dass die oben erwähnten Befürchtungen des Hl. Vaters leider zutreffend sind.

 

Ein weiteres Wort des Papstes aus seiner Ansprache an die deutschen Bischöfe möchten wir hier vorstellen: ‚Vor allem werdet Ihr nur solchen strukturellen Reformen eure Zustimmung geben, die voll und ganz mit der Lehre der Kirche über das Priestertum und den rechtlichen Normen im Einklang stehen und bei deren Umsetzung die Anziehungskraft des Priesterberufs nicht gemindert wird.‘

 

Wir fragen: Ist das wirklich der Fall? Stimmen unsere Bischöfe nur jenen Reformen zu, die mit Recht und Lehre der Kirche in Einklang stehen? (S. 77-78).

 

(…)

 

Die Gründe, die für den Umbruch der Seelsorgslandschaft vorgebracht werden, lassen sich auf einige Schlagworte reduzieren. Ihre Beweiskraft scheint auf den ersten Blick unwiderstehlich zu sein.

 

Warum neue Strukturen?

 

- Wegen des Priestermangels?

- Wegen der Finanzknappheit?

- Wegen des gesellschaftlichen Wandels?

- Wegen …?

 

Gibt es vielleicht andere Gründe?

 

Diesen schlagwortartig vorgetragenen Argumenten gegenüber ist u. E. eine gewisse Skepsis angebracht. Wir erlauben uns deshalb einige kritische Rückfragen:

Ist der ‚Priestermangel‘ vielleicht ein willkommenes Alibi für Strukturveränderungen?

Haben wir wirklich einen Mangel an Priestern,

 

- wenn die Zahl der Gläubigen ebenfalls rückläufig ist?

- wenn Priester teilweise nicht erwünscht sind oder sogar vertrieben werden?

- wenn Priester nicht mehr täglich zelebrieren?

 

Hierzu gibt es erdrückendes Beweismaterial:

 

- In einer Pfarrei sind etwa auf ein halbes Jahr hinaus etliche priesterlose Sonntagsgottesdienste vorgesehen. Ein junger Priester erklärt sich bereit, an diesen Sonntagen dort die Eucharistie zu feiern. Das Angebot wird abgelehnt.

 

- Ein Pater verbringt mit einer Jugendgruppe ein Wochenende in einer Pfarrei, wo ebenfalls ein Wortgottesdienst geplant ist. Er schlägt vor, die Hl. Messe mit der Jugendgruppe und der Pfarrei gemeinsam zu feiern. Der zuständige Pastoralassistent lehnt dies ab. Die Pfarrei hält also ihren Wortgottesdienst in der Kirche, während der Pater mit seiner Jugendgruppe in einem anderen Raum die Eucharistie feiert.

 

- Eine Kirchengemeinde, die von einem Pastoralassistenten ‚geleitet‘ wird, beschließt gegen den ausdrücklichen Willen des zuständigen Generalvikars 'demokratisch', dass nur noch an zwei Sonntagen im Monat Eucharistie gefeiert werden soll. An den übrigen Sonntagen soll ein Wortgottesdienst mit Kommunionausteilung stattfinden, obwohl es in der Region genügend Priester für Aushilfen gäbe.

 

- Ein Ruhestandsgeistlicher muss im Wohnzimmer zelebrieren, weil die Gemeindereferentin folgende Auffassung vertritt: Wenn er in der Pfarrkirche die Hl. Messe hielte, entstünde bei den Leuten der Eindruck, es gäbe keinen Priestermangel. Dann entfiele ihre Legitimation für die Feier von Wortgottesdiensten.

 

Nach Domherr Christoph Casetti ist ‚die Verknappung der Priester künstlich‘.

Prof. Dr. Georg May bezeichnet den Priestermangel als ‚selbstverschuldet und hausgemacht‘.

Aus all dem ergibt sich: Das Wort vom Priestermangel kann nicht leichtfertig als Argument für den Umbau der Seelsorge akzeptiert werden.

 

Im Gegenteil: Ein deutscher Bischof sagt, er würde die Umstrukturierungen auch dann vornehmen, wenn er fünfzig oder hundert Priester mehr hätte. (…)

 

Der gesellschaftliche Wandel ist eine Tatsache, aber innerkirchliche Veränderungen müssen sich daraus nicht zwangsläufig ergeben!

 

In diesem Zusammenhang muss das während der Bistumsprozesse gern zitierte Wort von Lothar Zenetti ‚Das Wichtigste an der Kirche ist die Wandlung‘ in seiner Zwiespältigkeit bedacht werden: Nicht jede Wandlung ist von vornherein kritiklos zu begrüßen, insbesondere dann nicht, wenn mit dem Hinweis auf gesellschaftliche Veränderungen gewissermaßen eine Veränderung kirchlicher Verkündigung und Praxis erzwungen werden soll, frei nach dem von Gemeindepfarrern bis zum Überdruss gehörten Motto: ‚Das kann man doch heute nicht mehr so sagen bzw. machen.‘

 

Warum also neue Strukturen?

Wenn nicht wegen

 

- des Priestermangels?

- der Finanzknappheit?

- des gesellschaftlichen Wandels?

 

Wir kehren zur Ausgangsfrage zurück: Wenn die befragten Schlagworte für eine Begründung der Neuordnung nicht ausreichen, muss nach tieferen Ursachen gefragt werden.

Will man möglicherweise …

 

- eine andere ‚neue‘ Kirche?

- eine andere Form der Gemeindeleitung?

- eine neue Form von Seelsorge?

- das Pfarreiprinzip praktisch auflösen und den Pfarrer als Hirten und Leiter der Pfarrgemeinde abschaffen?

 

Unser Verdacht ist nicht unbegründet. Im Gegenteil:

Die Eckpunkte der Veränderung erhärten den Verdacht, dass unter dem Vorwand von Priester- und Geldmangel und mit dem Verweis auf veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen ein neuer Typus von Seelsorge etabliert werden soll, der mit der herkömmlichen Gestalt von Pastoral nur noch den Namen gemeinsam hat. (S. 80-83).

 

(…)

 

Dass die kanonisch installierten Pfarrer drastisch reduziert werden sollen, beweist auch die Art und Weise, wie sie – oft frühzeitig und gegen ihren Willen – in den Ruhestand versetzt werden. (S. 85).

 

(…)

 

Die kanonisch installierten Pfarrer fusionierter ‚Mammutpfarreien‘ bzw. großer Seelsorgeeinheiten mit 10.000 bis 30.000 Katholiken sind als Vorsitzende zahlreicher Räte und als Hauptverantwortliche für alle Kirchen und kirchlichen Einrichtungen übermäßig mit Verwaltungsaufgaben beschäftigt. Es bleibt ihnen deshalb wenig Zeit und Energie für die unüberschaubar große Zahl der ihnen zur Seelsorge anvertrauten Gläubigen.

 

Obwohl die Kleruskongregation im Jahr 2002 ausdrücklich darauf verwiesen hat, dass die Erfüllung des Hirtenauftrags in einer Pfarrei die volle Seelsorge einschließt (Kongregation für den Klerus, ‚Der Priester, Hirte und Leiter der Pfarrgemeinde‘ Instruktion 4.8.2002, Nr. 20; vgl. auch can. 515 CIC.), werden heutige kanonisch installierte Pfarrer kaum in der Lage sein, die erforderlichen Aufgaben zu erfüllen …

 

Die ‚Hilfspfarrer‘, die nicht die vom kanonischen Recht vorgesehene Leitungsvollmacht für eine oder mehrere Pfarreien besitzen, haben in der Praxis nur eingeschränkte Möglichkeiten, in der Pfarrseelsorge zu wirken. Allein ihre Stellung im 'Leitungsteam' bzw. in den Pfarreien oder Seelsorgeeinheiten ist nicht klar definiert. In der seelsorglichen Praxis bedeutet dies eine starke Einschränkung z.B. in den Predigten, im Religionsunterricht und in der Zielgruppenarbeit. Hier werden sich zukünftig zahlreiche Probleme ergeben aufgrund eines Mangels an Kompetenz und Weisungsbefugnis. Als Negativbeispiel dient hier das Bistum Essen, in dem sogar langjährige Pfarrer in ihren bisherigen Pfarreien neuerdings unter Beibehaltung ihres bisherigen Gehaltes als Kapläne tätig sind.

 

Aus diesen Gründen steht nach unseren Erfahrungen die Mehrheit der Priester in den betroffenen deutschsprachigen Diözesen den neuen Strukturen kritisch gegenüber. Die meisten Geistlichen machen unter großem Widerwillen mit. Sie befürchten ansonsten Repressionen, die bereits zum Teil gegen solche Priester ergangen sind, die sich offen und sachlich mit ihrer Kritik geäußert haben.

 

In machen Bistümern ist unter den Geistlichen auch eine deutliche Resignation zu spüren. Diejenigen, die begeistert mitmachen, gehören zu einer verschwindenden Minderheit.

 

Oftmals geschieht dies in der Hoffnung, durch angepasstes Verhalten wenigstens die eigene Haut zu retten. Insgeheim wird sehr wohl zugestanden, dass der Prozess der Neuordnung ein höchst fragwürdiges Unterfangen darstellt. Dennoch: Die Anzahl der Priester, die ihre Kritik offen und sachlich äußern, ist relativ gering, nimmt aber stetig zu. (…)

 

Die wachsende Anonymität in den ‚Mammutpfarreien‘ bzw. großen Seelsorgeeinheiten führt zur Entfremdung zwischen dem zuständigen Pfarrer, also dem eigentlichen Hirten, und der ihm anvertrauten Herde. (…)

 

Die Aussicht junger Männer auf ein mitunter lebenslanges ‚Pfarrersein in Managerfunktion‘ bzw. ‚Hilfspfarrerdasein‘ dürfte der Entstehung von Priesterberufungen abträglich sein. (…)

 

- Als lebenslänglicher Pfarrvikar, der letztlich nichts zu sagen hat?

- Als leitender Pfarrer einer ‚Seelsorgskolchose‘ mit einer unüberschaubaren Zahl von Gläubigen?

- Als ‚priesterlicher Mitarbeiter‘ eines Pastoralteams, in welchem ihm der Verweis auf die kirchliche Lehre und deren Rechtsordnung den Vorwurf der pastoralen Laienmitarbeiter einbringt, er verschanze sich hinter klerikalen Rollenklischees?

 

Bei den Gläubigen in den Pfarreien herrscht weitgehend Unkenntnis angesichts der Umstrukturierungen. Diese Unkenntnis wird durch die Einführung einer Spezialsprache mit zahlreichen Fremdwörtern bewusst gefördert. (…)

 

Ein gewisser Teil der praktizierenden Katholiken fühlt sich angesichts der Fusionen zu ‚Mammutpfarreien‘ sowie der Bildung großer Seelsorgeeinheiten ohnmächtig und lässt sie mit Widerwillen über sich ergehen. Ein stetig wachsender Anteil der Gläubigen durchschaut die Problematik und meldet sich kritisch zu Wort. In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, dass selbst schriftliche Eingaben oder Beschwerden bei den zuständigen diözesanen Stellen in zunehmendem Maße mit nichtssagenden Empfangsbestätigungen abgewiesen werden oder gar unbeantwortet bleiben. (…)

 

Die neuen Strukturen, die verstärkt mit der Bildung neuer Räte und Gremien einhergehen, bieten auf der Grundlage gruppendynamischer Prozesse den Nährboden für ‚Mobbing‘. Somit sind ‚unliebsame‘ Kleriker (ebenso hauptamtliche Laien) sehr einfach versetzbar. In vielen Diözesen wurden mit den neuen Strukturen auch Gremien entwickelt, die auf der Ebene der neu gebildeten ‚Seelsorgseinheiten‘ die Seelsorge mitgestalten.

 

Diese ‚Pastoralverbundsräte‘ oder ‚Seelsorgsräte‘ sind oftmals dadurch gekennzeichnet, dass in ihnen Kleriker sowie haupt- und ehrenamtliche Laien unterschiedslos in die seelsorgliche Verantwortung eingebunden sind.

 

Im Statut der Diözese Mainz für die neu errichteten Seelsorgsräte findet sich z.B. der Hinweis, dass der Seelsorgerat die Leitlinien der Pastoral bestimmt. Von einer rein beratenden Funktion – wie es das Kirchenrecht für das gesamte Gremienwesen vorsieht – ist nirgends mehr die Rede.

 

Priester, die sich – um im Jargon der neuen Seelsorgsmethoden zu bleiben – mit den neuen Leitungsstrukturen ‚schwer tun‘, werden mittelfristig keine Chance mehr haben, als leitende Pfarrer ihre umfassende Hirtenverantwortung wahrzunehmen. Die Leitungsverantwortung wird nur noch jenen Pfarrern übertragen werden, die sich den entsprechenden gruppendynamischen Fortbildungskursen unterwerfen und als besonders ‚kommunikativ‘, ‚kooperativ‘ oder ‚teamfähig‘ erweisen. Leitung findet zukünftig nur noch im ‚Team‘ statt, Verantwortung wird entpersonalisiert und den angeblich zuständigen Gremien übertragen.

 

Hier wird ein neues Kirchen- und Priesterbild postuliert, innerhalb dessen bestimmte Priester oder hauptamtliche Laien keinen Platz mehr haben. Dies wird nicht ohne Auswirkungen auf den Priesternachwuchs bleiben.

 

Wir kommen zum Ergebnis: man will offenbar …

 

- eine andere ‚neue‘ Kirche!

- eine andere Form der Gemeindeleitung!

- eine neue Form der Seelsorge!

- das Pfarreiprinzip praktisch auflösen und den Pfarrer als Hirten und Leiter der

   Pfarrgemeinde abschaffen!

- letztlich den Priester abschaffen!“ (S. 87-93).

 

(…)

 

__________

 

 

Frei gesprochener Videobeitrag

von Pfarrer Dr. Guido Rodheudt,

verschriftlicht

 

(Buch Seite 98 – 107)

 

(…)

 

„Die Frage ist in diesem Zusammenhang natürlich immer, was tut der Bischof, wie sieht der Bischof die Dinge und wie verantwortet er den Prozess? Ich kann hier nur für die Diözese Aachen sprechen. Ohne Bischof Heinrich Mussinghoff … in Misskredit zu bringen, fällt doch eigentlich für jeden externen Beobachter auf, dass der Bischof nicht der eigentliche Architekt dieses Umbaus ist, sondern derjenige, der das Modell nach außen hin zu vertreten hat. Seine Hintermänner, der Generalvikar, der Leiter der Abteilung für Gemeindepastoral zum Beispiel und andere, auch Laientheologen, haben dieses Modell entwickelt und der Bischof trägt es oft mit der Emphase eines Pressesprechers vor.

 

Was den Umsetzungsprozess betrifft, fällt auf, dass in einer Art und Weise ein Kasernenhofton wieder entdeckt wird, der sicherlich noch nicht einmal mehr bei den Mitbrüdern der Weihejahrgänge der fünfziger Jahre bekannt war. Man hat jahrelang über Glaubensdifferenzen bei Priestern, über Unkorrektheiten in der Verkündigung, über Missstände in der Liturgie hinweggesehen und dort in keiner Weise irgendeinen rüden Befehlston gebraucht. Wenn es jetzt um die Umstrukturierungen in diesem kooperativen Pastoralprozess geht, scheut man sich nicht, diktatorisch vorzugehen.

 

Ich empfinde dieses Vorgehen als totalitär dahingehend, dass über eine Form von Gleichschaltung der Verantwortlichen, über eine ideologische Linienführung bei den Entscheidungsträgern und durch ein Drohszenario allen gegenüber, die sich diesem Prozess innerlich und theologisch verweigern, etwas gebildet hat, das alle Züge einer Diktatur hat. Oft wird in der Kirche kritisiert, dass sie keine Demokratie sei – und das ist sicher auch richtig so, dass sie keine Demokratie ist. Jedoch müssen wir in Augenschein nehmen, dass die Kirche auch keine Diktatur, sondern eine Hierarchie ist, und dass nicht aufgrund ideologischer Einsichten ein organisatorisches Modell absolut gesetzt werden kann, bei dem man große Mängel bereits im Vorfeld feststellt. (S. 103-104).

 

(…)

 

Die Frage ist: wie konnte es dazu kommen? Ich glaube, dass solche Prozesse seit vielen Jahren und Jahrzehnten theologisch an den Fakultäten, an den Priesterseminaren und an den Ausbildungsstätten der Laientheologen vorbereitet wurden. Es ist klar, dass, wenn das Berufsprofil des Priesters so unterschiedslos zu den Laientheologen geführt wird, am Ende natürlich kein Unterschied entstehen kann in der Ausführung des Berufes. Und ich bin auch der Meinung, dass die Bischöfe sich unter Umständen von falschen Propheten haben beraten lassen. Sie sind in einer Art und Weise von ihren Beratern abhängig, die sie oft betriebsblind und wirklichkeitsfremd machen. (…)

 

Ich kann nur insgesamt alle, die sich mit dem Thema der ‚kooperativen Pastoral‘ befassen, bitten, mit sehr viel Engagement und Mitsorge immer wieder gerade den Bischöfen zu sagen, welche oft irreversiblen Fehler durch diese Modelle entstehen – bei Priestern und bei Gläubigen.“ (S. 106-107).

 

(…)

 

__________

 

 

Aus dem Referat

„Das Verschwinden von Pfarrer und Pfarrei

Die Gefahren pastoraler Umstrukturierungen am Beispiel des Bistums Aachen“

Referent: Dr. theol. Peter Christoph Düren, Augsburg

 

(Buch Seite 153 – 194)

 

(…)

 

„Signifikanterweise wird im Bistum Aachen der Rückgang an priesterlichen Berufungen auch nicht als bedauernswerter ‚Priestermangel‘ verstanden, sondern vielmehr als Chance, das Amt des Pfarrers durch demokratische Organe auszuhebeln und in der pastoralen Verantwortung die Laien den Priester weitgehend gleichzustellen. (…)

 

Hiergegen muss man einwenden: Der sakramententheologisch grundgelegte Hirtendienst (Papst, Bischof, Pfarrer) ist prinzipiell nicht durch kooperative Strukturen ersetzbar. (…)

 

Ein Pastoralreferent ohne Priesterweihe kann einen Sünder nicht von Sünden lossprechen, eine Gemeindereferentin einem Sterbenden nicht das Sakrament der Krankensalbung spenden, ein engagierter Pfarrgemeinderatsvorsitzender nicht in der Feier der heiligen Messe das Kreuzesopfer Christi auf dem Altar vergegenwärtigen. Treten Laien aber neben oder sogar anstelle von Priestern in die Seelsorge – was können sie da den Gläubigen bieten? Vor allem eines: Event. (S. 168-170).

 

(…)

 

Auch Papst Benedikt XVI. hat nicht ohne Hintergedanken ein ‚Jahr des Priesters‘ ausgerufen, das Würde und Wert des Priestertums bekräftigen soll. Er betont, dass die Sendung des Priesters in der Kirche in der Vorrangstellung Jesu Christi begründet ist, daher dürfen die ‚neuen Strukturen‘ bzw. pastoralen Organisationsformen den Priester nicht überflüssig erscheinen lassen. Er warnt ausdrücklich vor der Gefahr der falschen Interpretation der rechten Förderung der Laien und der Gefahr der stärkeren Aufweichung des priesterlichen Dienstes. (Benedikt XVI., Ansprache vor der Kleruskongregation, 16.03.2009, in: www.zenit.org.). (S. 175).

 

(…)

 

Auf den Punkt gebracht hat dies der Journalist Guido Horst: ‚Mit der Zusammenlegung von Pfarreien zu Seelsorge-Einheiten ist es für den einzelnen Priester nochmals schwieriger geworden, seinen Gemeindemitgliedern ein ‚Pfarrer von Ars‘ zu sein: Anonymisierung, Entpersönlichung der Seelsorge, Verschwimmen der persönlichen Verantwortung, Verlust eines dauerhaften Ansprechpartners und die Nivellierung des Priesterbildes als eines persönlichen Hirten sind die Folge solcher Strukturreformen in zahlreichen Diözesen.‘ (Guido Horst, Der Priester im Blick, in: Die Tagespost v. 19.03.2009, S. 2.). (S. 183).

 

(…)

 

In ganz Kamerun müssen jährlich 120 Studenten, die gerne Priester werden möchten, von den Bischöfen abgewiesen werden, weil sie kein Geld für ihre Ausbildung haben (www.kath.net, 23.03.2009.). Wenn Deutschland zur Diaspora oder zum Missionsland wird, müssen wir uns dieser Situation stellen. Weltweit gibt es genug Priester. Und etliche Diözesen profitieren bereits vom Priesterüberschuss anderer Länder wie Nigeria, Indien oder Polen. (…)

 

Wenn gesagt wird, diese ausländischen Priester hätten eine andere Mentalität, so meint man damit oft nur den kirchlichen Geist, der deutschen Gläubigen bisweilen fremd geworden ist.

 

Auch nimmt man den anderen Ländern keine Priester weg, da sie in ihrer Heimat aus Armut nicht hätten Priester werden können. (…)

 

Papst Johannes Paul II. sagte: ‚Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, sich mit den heutigen Schwierigkeiten abzufinden und so zu tun, als müsse man sich auf eine Kirche von morgen vorbereiten, die man sich gleichsam ohne Priester vorstellt. Auf diese Weise würden sich die Maßnahmen, die getroffen wurden, um derzeitige Mängel zu beheben, für die kirchliche Gemeinschaft trotz allem guten Willen tatsächlich als ernsthaft schädlich herausstellen.‘ (Johannes Paul II., Ansprache v. 23.11.2001, in: Kongregation für den Klerus, Instruktion ‚Der Priester, Hirte und Leiter der Pfarrgemeinde‘, 04.08.2002, Nr. 24, in: VApS 157, S. 43.). Diese mahnenden Worte sollten uns davor gefeit machen, den Beruf des Priesters als ‚Auslaufmodell‘ zu betrachten und uns in einer entklerikalisierten ‚Laienkirche‘ gemütlich einzurichten.“ (S. 190-192).

 

(…) .

 

 

Das waren also Berichte aus Deutschland.

 

Es hat oben geheißen: Für Österreich, die Diözese Linz, kann man noch nicht viel sagen. Was hat da eigentlich ein Bericht aus Deutschland vor 14 Jahren mit Österreich in der Gegenwart zu tun?

 

Dazu kann man nur sagen: Das, was man in den Berichten liest an grundlegenden Dingen wie Ausrichtung der Pastoral; die Richtung, in die alles hinorientiert ist; Beispiele aus dem kirchlichen Alltag; die Art und Weise, wie alles geschieht; die ganze Atmosphäre, die vermittelt wird – all das hat eine äußerst verblüffende Ähnlichkeit mit dem, was man aus der Diözese Linz kennt und hier erlebt. Man kann ironischerweise sagen, daß man sich beim Lesen der Berichte zuhause fühlt.

 

Wenn die Voraussetzungen so ähnlich sind, kann man ausrechnen und hochrechnen, wie dann die Praxis in den Großpfarren in Österreich sein wird.

 

Wollen wir das? Wenn wir das nicht wollen, dann müssen wir aufwachen – und aufstehen.

 

 

__________

 

* BREID, Franz (Hrsg.): Glaubenskrise und Seelsorge. Wie geht es mit der Seelsorge weiter? Referate der „Internationalen Theologischen Sommerakademie 2009“ des Linzer Priesterkreises. 1. Aufl. Stein am Rhein: Christiana-Verlag, 2009.

 

Anmerkung:

Den Christiana-Verlag, Schweiz, gibt es mittlerweile nicht mehr.

Die Publikationen des Christiana-Verlages hat der fe-medienverlag, Deutschland, übernommen (www.fe-medien.de).

Das Buch ist auch erhältlich unter: www.theologische-sommerakademie.at.

 




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